Wir suchen immer das Gleichgewicht.
Unser modernes Leben ist in vielerlei Hinsicht einseitig. Denken wir nur an Beschäftigung und Bewegung. Beides ist im Alltag nicht sehr abwechslungsreich und verlangt von uns fast täglichen einen Ausgleich. Nicht umsonst gibt es so viele Sportangebote und meditative Veranstaltungen.
Beachten wir Balance nicht, so leidet unsere Gesundheit. Mit Medikamenten, medizinischen Eingriffen, mit verändertem Verhalten für die Dauer einer Therapie oder grundsätzlichen Veränderungen für das Leben im Alltag versuchen wir unser Gleichgewicht wieder herzustellen.
Ein Bewusstsein für Balance zu bekommen bedeutet zuerst einmal Balance wahrnehmen und sie in den verschiedenen Facetten spüren. Das beinhaltet ein tägliches Hinterfragen des Handelns und Empfindens. Defizite zulassen, um sie zu registrieren und dann auszugleichen.
Wie schön wenn man seine Wahrnehmung für Balance mit einer Beschäftigung trainiert, die einen geistig fordert, gleichzeitig Gefühle artikuliert, und soziale Kompetenz stärkt, wie auch soziale Kontakte fördert. - Musizieren - z.B. mit dem Cello ist das möglich.
Lernen wir dafür mit dem Cello sowie mit der Spannkraft und Elastizität des Bogens zu spielen, anstelle das Cello mit Druck zu beherrschen.
„Mit dem Cello“, nicht auf dem Cello spielen.
Dafür müssen wir Instrument und Bogen kennen lernen, einfühlsam sein, wissen wie ein Cello und ein Bogen bedient werden will, wo das Cello welche Resonanzen hat, wie es am Steg reagiert, welche Spannkraft den Bogen an welcher Stelle zu welchem Klang animiert, wie sie insgesamt miteinander harmonieren. Klänge formen lernen.
Parallel dazu eignen wir uns ein Verständnis an, wie und wo der Mensch auf akustische Reize reagiert. Körperliche wie auch seelische An - und Entspannung zeigen sich vorrangig im Brustkorb und Schulter- Nackenmuskulatur. Wohlgefühl spüren wir in der Bauchgegend.
Musik als nonverbale Sprache soll vornehmlich beim Zuhören Gefühle wecken. Der Zuhörer wird mit An und Entspannung reagieren. Klingt mein Cello angespannt, so wird auch der Zuhörer sich anspannen, spiele ich ganz zart, so wird der Zuhörer weich und anschmiegsam werden. Als Spieler steuere ich das bewusst und bin in der Lage ohne innere Anspannung, angespannte Klänge zu erzeugen.
Begreifen wir diese Zusammenhänge können wir jede Gefühlslage darstellen, ohne selber zu verspannen, ohne selber körperlich in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Wir kreieren und steuern das Hören und Fühlen unseres Publikums, ohne selber davon körperlich beeinträchtigt zu sein. Wir durchleben unsere künstlerische Intension im Augenblick des Spiels nicht mehr körperlich, sondern nur noch mental und nützen unseren Körper als Resonator. Ein unglaublicher Augenblick.
Der mechanische und technische Aspekt beim „mit dem Cello spielen“ ist leicht erläutert. Weder pressen wir die Finger auf das Griffbrett, noch halten wir den Bogen fest und drücken die Haare auf die Saiten.
Wir arbeiten in beiden Arm mit deren Gewicht. So stützen wir unser linkes Armgewicht über die Finger auf das Griffbrett und hebeln unser rechtes Armgewicht mit dem Zeigefinger und dem Daumen auf die Bogenstange und somit auch auf die Kontaktstelle. Wir spielen mit Schwung und nicht mit Druck. Das gekonnte Zusammenspiel von Hebelkraft und Schwung schöpft bei jedem Cello die ganze Bandbreite seines Klangvermögens aus.
Schwer dabei ist, das künstlerische Spannungsgefühl, die Ausdrucksintensität zu halten und trotzdem vom eigenem Körpergefühl abzukoppeln. Es ist eine mentale Herausforderung gleichzeitig extern zu hören was wir innerlich fühlen und dabei den Körper entspannt zu halten. Gleichgewicht halten. Den Körper benützen wir ausschließlich Werkzeug, mit dem wir das Cello und den Bogen zu bedienen wissen. Das ist sehr schwer, aber ungemein lustfördernd.
Balance wird so ein fester Bestandteil im Cellospielen. Sie garantiert sonoren, in die Tiefe gehenden Klang. Das gehört ganz wesentlich zur künstlerischen Arbeit und fördert zudem auch körperliches und Seelisches Wohlgefühl.
Auf Dauer werden wir auf diese Weise eins werden mit dem Cello, dem Klang und unserer Klangvorstellung. Gelingt uns dieser Prozess, so kommen wir in einen beispiellosen Zustand. Körper, Geist, Seele und das Cello werden eine Einheit. Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Mystiker sprechen dann von einem unio mystica, dem Einssein mit allem.
Hat man das einmal erlebt, so will man mehr.
Der Weg heisst: Mit Balance in Einklang kommen.